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Das Übersetzer*innenkollektiv Wiese (Wie es ist) / مرج präsentiert seine Arbeit der letzten zwei Jahre: das AL-KHATIB-GLOSSAR. Das Glossar bezieht sich auf das Al-Khatib-Verfahren, das jüngst in Koblenz unter dem »Weltrechtsprinzip« zwei Geheimdienstler des syrischen Assad-Regimes vor Gericht gestellt hat. Es bezieht sich auf ein Verfahren, das als Text so nicht existiert, jedenfalls nicht vollständig und nicht im Wortlaut dokumentiert wurde. Auch bezieht es sich nicht nur auf dieses Verfahren, sondern auf das Gewaltgeschehen, für das der Name Al-Khatib mittlerweile steht. Die repressiven, todbringenden Praktiken, die Al-Khatib ausmachen, sind wiederum in dem weiteren Kontext der Anstrengungen der syrischen Revolution zu sehen, die in der Geheimdienstabteilung 251 (Al-Khatib-Abteilung) zum Schweigen gebracht werden sollen. All das – der Al-Khatib-Komplex – ist der sogenannte »Text«, dem sich die Glossararbeit der Wiese widmet.

Ein politischer Konflikt, dessen Schauplatz u.a. die Sprache ist. Welche Wörter bleiben in Koblenz unübersetzt, unübersetzbar? Lassen sich diese als Fragmente einer Sprache der syrischen Revolution (re)konstruieren? Was, wenn Redewendungen zu Drohungen werden? Kann Sprache eine Form der Folter sein? Wo überblenden sich deutsches Gerichtsverfahren und Straßenszenen aus Damaskus? Wie weit reichen historische Verstrickungen zwischen syrischen und europäischen Geheimdiensten? Welche Echos, Bezüge, Widersprüche stellen sich zwischen unseren arabischen, deutschen und zwischensprachigen Mitschriften ein, die stets brüchig und lückenhaft sind?

Das Glossar experimentiert mehrsprachig und multimedial mit diesen porösen, zaghaften und unvollständigen Spuren, löst Wörter und Begriffe aus einer bestimmten juristischen, politischen Ordnung – und Satzstellung – heraus, befragt sie anders, nicht zuletzt nach ihrem utopischen Aspekt. Dabei geht es oft um ein Eingreifen literarischer Formen in soziale Prozesse, ein Durcharbeiten von Worten, die gewaltbehaftet sind.

Die Auseinandersetzung mit den revolutionären Geschehnissen in Syrien und deren Folgen ist ein offener und nicht abgeschlossener Prozess, der vielerorts und vielgestaltig sichtbar wird. Das Glossar ist einer dieser Orte, konzipiert als Versuch, neue, kritische Öffentlichkeiten rund um den Al-Khatib-Komplex zu generieren. Wider einer wiederholten Unsichtbarmachung von Betroffenen, versteht sich das Glossar u.a. als eine Stellungnahme entgegen der folgenschweren Aufzeichnungsverweigerung des Koblenzer Gerichts. Wir geben der Form dieser politischen Arbeit den Namen Glossar, da das Glossar auf besondere Art die künstlerische Dokumentation und Bearbeitung eines Wissens erlaubt, das ein vielstimmiges Wissen ist und ein von vielen unterschiedlich verkörpertes.

Mitwirkende: Galal Alahmady, Maru Younes, Sandra Burkhardt, Carsten Jenss, Marlene Feger, Christian Filips, Kenan Khadaj, Aniol Kirberg, Miriam Rainer, Raguel Roumer, Pasqual Solaß

Gäste: Nauras Ali, Ali Jazo, Luna Watfa, Hannah El-Hitami

Projektleitung: Maru Younes, Miriam Rainer

Das Projekt wird gefördert vom Deutschen Übersetzerfonds.